DDR-Unrecht: Ein Skandal, 25 Jahre nach dem Ende der DDR

Repression in der DDR: Versagte Entschädigung Betroffener in der Bundesrepublik

Die Publikation des Beitrages erfolgte mit freundlicher Genehmigung von Martin Sachse

Die Entschädigung von Folgeschäden der DDR-Diktatur ist bis heute unbefriedigend. Während Haftopfer wenigstens zum Teil entschädigt wurden, haben es die Betroffenen von Berufsverboten, Repression, Psychiatrisierung und anderer Verfolgung besonders schwer. Dazu trägt auch bei, dass die Verbände der Verfolgten der DDR sich nur um die Haftopfer bemühten und alle anderen ausgrenzten. So steht auch die Entschädigung von Gesundheitsfolgeschäden in diesem Kontext. Seit Jahren wird eine Beweislastumkehr gefordert, weil Gerichte und beauftragte Gutachter im Umgang mit Betroffenen wenig Sensibilität, Kompetenz und guten Willen zeigen und darüber hinaus oft medizinische Verantwortung mit politisch gewollter Willkür verwechseln. So ist in diesem Zusammenhang auch die Qualifikation der bestellten Gutachter zu hinterfragen. Es wird erkennbar, dass die Entschädigungen nicht nach rechtsstaatlichen Grundsätzen, sondern im Haushaltsinteresse entschieden werden. Die Menschen, die in der DDR durch ihr Engagement die größte Last trugen, brauchte man nach der Wiedervereinigung nicht mehr. Seinerzeit waren sie aus ideologischem Interesse der Bundesrepublik von zentraler Bedeutung.

Die entwürdigen Prozeduren in den Antrags-, Gerichts,- und Begutachtungsverfahren, die oft jahrelang dauern, führen zu einem neuen Unrecht, was die politisch Verantwortlichen hinnehmen, da die Lobby der Betroffenen ohne Bedeutung ist. Die Stiftung Aufarbeitung DDR hat das auf der Veranstaltung “Verweigerte Anerkennung: Auswirkungen bei SED-Verfolgten” thematisiert. Die Referenten kommen zu einer Bewertung der Situation von DDR-Verfolgten, die alarmierend ist. Als Referenten konnte die Stiftung PD Dr. habil. Arnd Pollmann (Philosoph, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Arbeitsstelle Menschenrechte) und Prof. Dr. Jörg Frommer (Direktor der Universitätsklinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie Magdeburg) gewinnen. Die Moderation hatte Pfarrer Curt Stauss (Studienleiter der evangelischen Akademie Wittenberg, Netzwerk DiktaturFolgenBeratung).

Durch die verweigerte Anerkennung verstärken sich die Gesundheitsschäden der Betroffenen in ungeahnter Weise – man spricht von kumulativer Traumatisierung. Damit entstehen für die Gesellschaft zusätzliche Behandlungskosten, die “gespartes Geld” wieder aufbrauchen. Die Auswirkungen für die Betroffenen sind gravierend, viele therapeutische Bemühungen über Jahre werden dadurch zunichte gemacht. Das scheint die politisch Verantwortlichen, die sich sonst bei Diktaturthemen gern als Gutmenschen zeigen, wenig zu kümmern. Auch aktuelle politische Entwicklungen verstärken Re-Traumatisierungen von Verfolgten der DDR-Diktatur. So haben nach Aussage der “Vereinigung 17. Juni” Betroffene von DDR-Psychiatrisierung nach dem Bekanntwerden des Falles Gustl Mollath, der nach Medienrecherchen und Aussagen unabhängiger Gutachter zu Unrecht und gegen seinen Willen seit 7 Jahren in der Psychiatrie festgehalten wird, zu Re-Traumatisierungen geführt. Das ist nicht nur glaubhaft, sondern ein Armutszeugnis für den Rechtsstaat. Viele Verfolgte der DDR-Diktatur sehen in der aktuellen politischen Entwicklung der Bundesrepublik und auch der globalisierten Welt Parallelen zu ihren Erfahrungen in der DDR. Auch die Überwachung durch die Geheimdienste und der Umgang mit dem Ex-NSA-Mitarbeiter Snowden gehören dazu, dem die Bundesrepublik aus “Formgründen” humanistische Hilfe verweigert. Die Veranstaltung in der Stiftung Aufarbeitung zeigte klassische Abstinenz der Politik und der Medien.

Zu Beginn formulierte Dr. Arnd Pollmann zwei Thesen. “Das zu DDR-Zeiten verursachte und dann nach 1989 nur unzureichend kompensierte Unrecht stellt ein doppeltes, und bisweilen sogar potenziertes, Anerkennungsproblem dar. Als ein politisch dringliches Anerkennungsproblem wird dieses Unrecht aber wohl erst dann ins öffentliche Bewusstsein treten, wenn wir es als ein dezidiert menschenrechtliches Problem verstehen und auch rekonstruieren”. Er führt weiter aus: “Ihrer ursprünglich revolutionären Idee nach sind die Menschenrechte als Schutzvorkehrungen des demokratischen Souveräns, d.h. des geeinten Staatsvolkes gegenüber der Gefahr öffentlicher Willkürherrschaft zu verstehen… Kurzum, die Menschenrechte dienen der Verhinderung willkürlicher Amtsanmaßungen und repräsentativen Versagens”. Nach den Ausführungen von Dr. A. Pollmann ergibt sich daraus: “Erstens: Der Staat hat die Pflicht aktive und direkte Menschenrechtsverletzungen zu unterlassen… Zweitens: Der Staat hat zudem die Pflicht, so weit wie möglich zu verhindern, z.B. durch Gesetze, die Polizei und den Strafvollzug, dass sich private Personen wechselseitig gravierende Schäden zufügen… Drittens: Der Staat hat außerdem die Pflicht, und darauf wird es ankommen, all jene Menschen, die unfreiwillig in Not geraten sind, durch angemessene Unterstützungsleistungen in die Lage zu versetzen, sich aus dieser Lage wieder zu befreien. Die dritte Pflicht gilt ganz besonders dann, wenn die betreffenden Notlagen das Ergebnis staatlicherseits verübter Menschenrechtsverletzungen sind. Dann nämlich kommt zu der ohnehin bestehenden Beseitigungsverantwortung staatlicher Funktionsträger noch eine ursprüngliche Verursachungsverantwortung hinzu, die gewissermaßen doppelt zählt…

” Und es heißt weiter: “…dass alle drei dieser staatlichen Pflichtverletzungen … von den Betroffenen als fundamentale Erfahrung politischer Ohnmacht durchlitten werden.” A. Pollmann weist darauf hin, dass sich die Bundesrepublik Deutschland national und international verbindlich auf die Menschenrechte verpflichtet hat. Der deutsche Staat hat die Menschenrechte all jener Menschen zu achten, die sich im Geltungsbereich unserer Verfassung aufhalten und das bedeutet eben u.a. auch, die Menschenrechte verpflichten unseren Staat und seine Funktionsträger selbst noch dazu, jene Menschenrechtsverletzungen zu kompensieren, die in der DDR begangen wurden.” In der Schlussbemerkung führt A. Pollmann aus: “…Wir haben es aus meiner Sicht mit einer doppelten Menschenrechtsverletzung zu tun und damit zugleich auch mit einem potenzierten Problem der versagten Anerkennung. Ursprünglich ging und geht es um aktive Menschenrechtsverletzungen durch öffentliche Funktionsträger der DDR im Rahmen etwa von willkürlicher Inhaftierung, verwaltungsrechtlicher Enteignung, Ausbildungs- und Berufsverboten sowie der so genannten Zersetzung, die nicht selten die Grenzen zur Folter überschritt… Hinzu kommt nun aber, das Versagen der Politik nach 1989, das einst hunderttausendfach erlittene Unrecht aufzuarbeiten, hinreichend publik zu machen und ansatzweise zu kompensieren. Dieses Versagen ist nicht nur einfach politisch unklug oder moralisch misslich gewesen, denn sofern hier öffentliche Funktionsträger versagt haben und noch immer versagen, indem sie zu wenig für die Rehabilitierung der Betroffenen tun, kommt es erneut zu Menschenrechtsverletzungen und zwar vor allem zur Verletzung der so genannten sozialen Menschenrechte, das sind zum Beispiel Rechte auf einen angemessenen Lebensstandard, auf Bildung, Arbeit und vor allem Gesundheit (). Der bundesdeutsche Nachfolgestaat versagt folglich in seiner dezidiert menschenrechtlichen Pflicht, den einstmals erlittenen und bis heute fortdauernden Anerkennungsentzug so gut es geht zu kompensieren. Uns so summiert sich zu der zu DDR-Zeiten durchlittenen Missachtung auf überaus deprimierende Weise ein folgenreicher zweiter Anerkennungsverlust, der von den Betroffenen nicht selten geradezu als eine Art Verrat erlebt wird. Man hat sich in die Hände eines anderen Staates begeben der versprach, das erlittene Unrecht wieder gut zu machen und doch wurde man gewissermaßen fallen gelassen, während die Täter bisweilen zu triumphieren scheinen. Diese Enttäuschung, dieser Vertrauensverlust mag den ursprünglichen erlittenen Anerkennungsverlust nicht einfach nur zu verdoppeln, sondern unter Umständen sogar auf deprimierende und vollends entmutigende Weise zu potenzieren. Denn nichts stimmt menschenrechtlich ohnmächtiger, als die Einsicht, dass man nun auch noch von diesem neuen politischen System, auf das man einst gehofft haben mag oder für das man sehr viel riskiert haben mag, im Stich gelassen zu werden.” Dr. A. Pollmann fordert auch eine rhetorische Umstellung. “Es macht einen enormen Unterschied, ob man von fakultativen nach Art von Gnadenakten gewährten Kompensationen durch so genannte Opferrenten oder auch von sozialhygienischen Maßnahmen der so genannten Unrechtsbereinigung spricht oder ob man darauf hinweist, dass seinerzeit schwere Menschenrechtsverletzungen begangen wurden und diese kaum dadurch wettgemacht werden können, dass nun neue Menschenrechtsverletzungen hinzukommen…. Mit speziellem Blick auf die menschenrechtliche Anerkennung gesundheitlicher Folgeschäden ist politisch primär darauf zu drängen, dass die zukünftige Rechtslage endlich den bislang vollends vernachlässigten aber wohl bis heute vielerorts grausam nachwirkenden Tatbestand der Zersetzung einfangen muss.

Überdies gilt es in verfahrenstechnischer Hinsicht – auch das eine bekannte Forderung – für eine deutliche Beweislasterleichterung bis hin zur so genannten Beweislastumkehr zu kämpfen, außerdem () fehlen geschulte und koordinierte Gutachter, sensibilisierte Amtspersonen und selbstredend meist auch finanzielle Mittel, davon wird sicher noch zu reden sein.”

Als Kernaussage wird in den Ausführungen erkennbar, dass die Bundesrepublik Deutschland einstmals in der DDR begangenes Unrecht durch verweigerte Anerkennung und Entschädigung potenziert und neues Unrecht begeht. Das führt auch zu neuen oder einer Vertiefung vorhandener Gesundheitsschäden, die billigend in Kauf genommen werden. Auch trägt dazu bei, dass alle Gesetze zum Schutz der Übersiedler aus der DDR wie das Fremdrentengesetz (FRG) ohne Information der Betroffenen still und heimlich abgeschafft wurden. In den Broschüren, die Übersiedler aus der DDR erhielten, wurde auch eindeutig geklärt, dass die Verfolgungsmaßnahmen und die Verfolgungszeit erst dann als beendet angesehen werden können, wenn eine wirtschaftliche und soziale Situation für die Betroffenen erreicht ist, als wäre das schädigende Ereignis nicht eingetreten. Danach ist die Verfolgungszeit für viele Betroffenen bis heute nicht beendet. Diese Situation ist gänzlich unbefriedigend. Man kann gerade von einer Umkehr einstiger Gesetze ins Gegenteil sprechen. Nach 1989 waren aus ideologischer Sicht die Betroffenen von DDR-Unrecht nicht mehr relevant. Täter und Systemträger der DDR wurden mit neuen Positionen in der Bundesrepublik oder hohen Pensionen geehrt. Dem entgegen stehen unzureichende Gesetze und Verfahren, die die Betroffenen als Martyrium erleiden und die einstigen Gegner aus der DDR nur erfreuen kann. Die Bundesrepublik hat hierbei nicht nur die Pflicht der Wiedergutmachung verletzt, sondern verletzt auf deprimierende Weise erneut die Menschenrechte durch eine unzureichende Gesetzgebung, unabhängige und kompetente Gutachter und jahrelange zermürbende Gerichtsverfahren, die einer menschenwürdigen Entschädigungspraxis entgegen stehen. An einem Fallbeispiel, der “Chronik einer gesundheitlichen Entschädigung” werde ich das zu einem späteren Zeitpunkt noch aufzeigen.

Im 2. Teil der Veranstaltung referierte Prof. Dr. Frommer aus ärztlicher Sicht. Prof. Frommer erklärte, dass Gutachter seiner Fachdisziplin (der Psychotherapie/Psychosomatik) staatlichen Stellen behilflich sind erneut Anerkennung zu verweigern. Prof. Frommer zeigte in einem Exkurs auf, dass die Befangenheit von Gutachtern auch nach 1945 und in der jungen Bundesrepublik bei der Entschädigung von NS-Opfern problematisch war. Diese Befangenheit sehe ich auch für die Entwicklung nach 1989. Nicht selten wurden Verfolgte der DDR mit Gutachtern der ehemaligen DDR konfrontiert, die eine neutrale gutachterliche Sicht vermissen ließen. Auch in der noch zu veröffentlichenden “Chronik” wird das aufgezeigt werden. Zu Gutachten, die Prof. Frommer vorgelegt bekommt führt er aus: “Viele der Stellungnahmen von Versorgungsämtern und viele Gutachten, die ich als Zweit-oder Drittgutachter zu lesen bekam und immer noch zu lesen bekomme sind in diesem Sinne gekennzeichnet, durch eine Überdistanzierung, die man als Ausdruck der Abwehr und Verleumdung eigener Betroffenheit verstehen muss. Es liest sich vielfach als solle der Beweis erbracht werden, dass das eigene Urteil in keiner Weise beeinflusst wurde durch das eigene persönliche und familiäre Lebensschicksal, deren gesamtgesellschaftliche Rahmenbedingungen sich bei vielen der nach der Wende beauftragten Gutachter nicht von denen ihrer Probanden unterschied. Spuren einer Auseinandersetzung mit den persönlichen Motiven und gesellschaftlichen Kontexten fanden sich nicht… Darüber hinaus stellt sich für jeden Gutachter in den neuen Bundesländern die noch brisantere Frage der eigenen Positionierung zur DDR-Staatsmacht und zur Rolle, die er in diesem politischen System inne hatte.” Prof. Frommer vergleicht Gutachter mit DDR-Biografie, die vieles, das zur Traumatisierung bei den Probanden führte als “normal” ansehen, mit Gutachtern aus der alten Bundesrepublik, denen oft das Verständnis für die Ursachen der Traumatisierung fehle. Diese Aussage wird auch durch die Betroffenen von Begutachtung bestätigt. Er sieht in einer Überdistanzierung und Versachlichung einen Standardfehler in der Begutachtung. Einen weiteren Fehler sieht er in der Dekontextualisierung. Hiermit ist gemeint, dass der Verursachungszusammenhang der psychischen Störung und auch der biografische Gesamtkontext nicht berücksichtigt werden. Prof. Frommer kritisiert, dass es nach 1989 keine öffentliche Debatte über die Traumafolgen von DDR-Repression gab und das dies zu einer kumulativen Traumatisierung der Betroffenen führte. Analog zur erneuten Menschenrechtsverletzung, die A. Pollmann beschreibt, wird hier aus medizinischer Sicht die kumulative Traumatisierung als Folge von Nicht-Aufarbeitung deutlich. Diese kumulative Traumatisierung lässt sich mit dem Standardrepertoire des Gutachters/Psychiaters nicht abbilden. Dadurch entstehen durch die verweigerte Anerkennung infolge von Fehl- und unzureichenden Diagnosen zusätzliche gesundheitliche Schädigungen der Betroffenen und eine Verstärkung der Symptomatik. Abschließend spricht Prof. Frommer von einer Verursachungsverantwortung der Bundesrepublik nach der Wiedervereinigung. Nur scheinen diese Zusammenhänge den politisch Verantwortlichen nicht klar zu sein oder sie werden von diesen bewusst ignoriert. Solange dieser Zustand fortbesteht, kann von einer Entschädigung und Rehabilitierung nicht gesprochen werden. Darüber hinaus hat die Gesellschaft durch ihr verantwortungsloses Handeln neues Unrecht geschaffen und Menschenrechte verletzt.

Der Beitrag soll der Öffentlichkeit Gelegenheit geben, sich zu informieren und ist ein Angebot an Betroffene, ihre Interessen und die Versäumnisse der Politik öffentlich zu machen und Druck auszuüben.

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